Wassili Pankratjewitsch W. P. Hinder

geb. 26.11.1855 in Wilen – gest. 3.3.1896 in St. Petersburg
Gartenbaudirektor des Generals Peter Pawlowitsch Durnowo in St. Petersburg

von Eugen Hinder (2011)

Die Angaben stammen von Frau Olena Ott-Skoropadsky, teils aus ihrem Brief von 1985 an das Russland-Schweizer-Archiv der Universität Zürich, hauptsächlich aus einem 2-stündigen Gespräch, das ich am 19.5.2011 mit der fast 92-jährigen Dame und ihrem 4 Jahre älteren Ehemann, Herrn Ludwig Ott, führen durfte, sowie teils aus ihrem Buch „Familiengeschichten und Erinnerungen“. Frau Ott war mit dem Enkel von W. P. Hinder verheiratet. Sie erzählte chronologisch, erinnerte sich haargenau und verlor nicht den Faden, Herr Ott verfolgte das Gespräch aufmerksam und gab gelegentlich präzise Erklärungen. Ich „musste“/durfte nur zuhören und aufschreiben, höchst angenehm und für die Familienforschung sehr ergiebig. Vielen herzlichen Dank!

Gemäss Haushaltungsregister der Pfarrei Wil wurde Wassili Pankratjewitsch Hinder als Johann Wilhelm Hinder im Wilen geboren. Sein Vater hiess Pankraz Silvester und seine Mutter Sophia Böbt, die aus Säckingen stammte. W. P. Hinder war Gärtner in Basel und wurde Ende der 1870er Jahre von Peter Pawlowitsch Durnowo, General à la Suite, nach St. Petersburg geholt. General Durnowo ist der Grossvater mütterlicherseits von Frau Ott-Skoropadsky. Er besass in St. Petersburg auf der Wassilewsky-Halbinsel ein grosses Landhaus in einem riesigen 25 Hektaren grossen Park, mit natürlichen Waldbeständen, künstlich angelegten Teichen, Gewächshäusern, usw*. General D. war einer der reichsten und vornehmsten Männer am Zarenhof. Er stellte W. P. Hinder hauptsächlich für seine Orchideenzuchten an. Dank seiner Tüchtigkeit avancierte W. P. Hinder sehr schnell zum Vorgesetzten über alle beschäftigen Gärtner und Gartenarbeiter. In einem Club für Deutschsprechende, von denen es in St. Petersburg viele gab, lernte er seine Frau, Talea Iggena (* 1864), kennen, die es von Ostfriesland hierher verschlagen hat. Sie heirateten in St. Petersburg, gemäss Haushaltungsregister der Pfarrei Wil am 8.3.1886, und hatten drei Kinder: Carluscha (Carl), Marussa (Marie) und Nora. Sie lebten sehr feudal, in einem eigenen Haus auf der Halbinsel, hatten ihr eigenes Personal und ein russisches Kindermädchen. Kutsche und Kutscher standen ihnen für Fahrten in die Stadt zur Verfügung. W. P. Hinder richtete in seinem Haus ein „Schweizerstübli“ ein, versehen mit Schweizerfähnchen, Kuhglocken, usw. Wie es üblich war, wurde die „Herrschaft“ zur Patenschaft gebeten: Frau Durnowo wurde die Gotte von Nora und Durnowos Tochter Alexandra, welche selber noch ein Kind war, die Gotte von Marussa. Wohl wegen der deutschen Mutter sprachen die Kinder kein schweizerdeutsch. Am 3. März 1896 starb W. P. Hinder im Alter von nur 41 Jahren an Krebs. Die junge Witwe zog mit ihren drei Kindern in ihre Heimatstadt Aurich in Ostfriesland zurück. Bis Anfang des 1. Weltkriegs bestand zwischen ihr und Frau Durnowo ein reger Briefwechsel, erhielt Marussa von ihr regelmässig Patengeschenke und Frau Hinder bis Ende des Krieges eine gute Pension, sodass sie mit ihren Kindern sorgenfrei leben und ihnen eine gute Ausbildung ermöglichen konnte: Carl studierte in Darmstadt Ingenieurwissenschaft, die Töchter gingen ins Pensionat. Nach dem Tod von Frau Durnowo setzte ihre Tochter Oleksandra diese Pensionszahlungen fort. Der 1. Weltkrieg und die Revolution in Russland unterbrachen die Beziehung zwischen den beiden Familien für mehrere Jahre. Alexandra Durnowo heiratete Paul Skoropadsky aus der Ukraine. Etwa 1926 erschien in einer deutschen Illustrierten eine Reportage über den letzten Hetman der Ukraine, Pawlo Skoropadsky, seine Ehefrau, Oleksandra, geborene Durnowo, und seine Familie. So erfuhr die Familie Hinder-Iggena den Berliner-Aufenthaltsort der Familie Skoropadsky-Durnowo, also ihrer Patinnen, und eines Tages erschienen zwei Damen bei Oleksandra Skoropadsky: Marussa zeigte als „Ausweis“ ein Patengeschenk, nämlich ein etwa 15cm grosses Tannenbäumchen aus Eisen, das sie von ihr als kleines Mädchen erhalten hatte und die Verbindung zwischen den beiden Familien war wieder hergestellt. Dieses Tannenbäumchen ist jetzt im Besitz von Frau Ott-Skoropadsky. Jetzt schickten die Hinders an Weihnachten und zu den Geburtstagen grosse Geschenkpakete an Olena Skoropadsky. W.P. Hinders Nachkommen war es gut ergangen: Talea Hinder war mit ihren Kindern von Friesland nach Herrenalb in Süddeutschland gezogen, war dort Hausdame beim steinreichen, älteren, fast 60-jährigen Junggesellen Gisbert Clemens und brachte es fertig, die 18-jährige Marussa mit ihm zu verheiraten. Während der Ehe lebten sie die ganze Zeit in Hotels. Nach ein paar Jahren starb Clemens und hinterliess Marussa sein ganzes beträchtliches Vermögen, darunter auch eine ganze Strasse, die Fritz-Geiger-Strasse in Freiburg im Breisgau. Auf einer der Parzellen baute sich Marussa Ende der 1920er Jahre ein gemütliches Haus, in dem sie mit ihrer Mutter lebte. Um den Fliegerangriffen in Freiburg zu entgehen, lebten sie immer wieder monatelang im Hotel Zürichberg in Zürich. Nach dem Krieg brachte das Vermögen nicht genug zum Leben ein, sodass Marussa sich genötigt fühlte, eine Parzelle der Strasse nach der anderen zu verkaufen, was natürlich ein grosser Fehler war. Marussa unterhielt freundschaftliche Verbindung mit Schweizern, lebte während des 2. Weltkriegs zusammen mit ihrer Mutter jahrelang in Zürich, später in Freiburg im Breisgau und starb dort 1971 an zwei kurz aufeinander folgenden Herzinfarkten. Marussa habe immer wieder ihr Testament geändert. Sie hatte vorgesehen, dass zwei Cousins die eine Hälfte und Otts Zwillinge die andere Hälfte bekommen, zudem ein Legat für den Bau des Freiburger Doms. In ihrem letzten Testament habe sie daraus Sechstel à 60’000 Mark gemacht; zudem hätten die Ott-Zwillinge das Schwarzgeld geerbt, das Marussa in Basel hatte. Marussa sei ein Original gewesen, so Frau Ott-Skoropadsky. Carluscha trat nach Beendigung seines Ingenieurstudiums als Bauingenieur in die grosse deutsche Baufirma Lenz & Co. Ein – die Firma baute in der ganzen Welt Eisenbahnen und Brücken – wurde 1932 zum „wohlbestallten“ Direktor der Firma am Hauptsitz in Berlin (vgl. sein Portrait). Auch Nora hatte „sehr gut“ geheiratet, nämlich einen Zahnarzt; sie starb als ganz junge Frau an der Fehlgeburt ihres ersten Kindes.

Das Meiste über W. P. Hinder wisse sie, so Frau Ott-Skoropadsky, von ihrer Mutter, Oleksandra Durnowo. Sein Sohn Carl habe kaum etwas von ihm erzählt; meinerseits vermute ich deshalb, weil er noch ein Kind war, als sein Vater gestorben ist.

Im Nachlass von W. P. Hinders Sohn Carl fand Frau Ott-Skoropadsky eine Abschrift (und wahrscheinlich Übersetzung) eines Schreibens von General-Major Rajewsky, Präsident der Kaiserlichen-Russischen Gartenbau-Gesellschaft St. Peterburg vom 19. Mai 1893, welche sie dem Russland-Schweizer-Archiv übergeben hatte. Die Anrede lautet: „Sehr geehrter Herr Wassili Pankratjewitsch, Seiner Hochwohlgeboren W. P. Hinder“. Im Brief bedankt sich der General-Major für die Pflanzen, welche W. P. Hinder für eine Ausstellung der Kaiserlichen-Russischen Gartenbau-Gesellschaft zur Verfügung gestellt hat und dank denen die Ausstellung ein finanzieller Erfolg war: „Der Erfolg war zum grössten Teil dem zu verdanken, dass dort die schönsten Pflanzen aus Kaiserlichen und privaten Treibhäusern ausgestellt waren, die die schönste Ausschmückung der Ausstellung bildeten. Ganz besonders wären zu erwähnen die von Ihnen mit viel Kunstsinn und Sachkenntnis in den Treibhäusern von P. P. Durnowo gezüchteten Gewächse.“
Weiter fand Frau Ott-Skoropadsky im besagten Nachlass Fotografien des Wohnhauses von W. P. Hinder auf dem Wassilewsky-Ostrow, des Schweizerstüblis und von W. P. Hinders Grab. Diese Fotografien sind im Russland-Schweizer-Archiv katalogisiert, in der Zwischenzeit aber verschollen.

* In ihrem Buch „Erinnerungen, Familiengeschichten“ beschreibt Frau Ott-Skoropadsky, wie dieser Besitz aussah und wie es zu- und herging. 

Literatur
Ott-Skoropadsky, Olena (2004). Familiengeschichten und Erinnerungen. Lviv: Verlag Litopys.