geb. 21./31.1.1861 in Wilen – gest. 4.12.1932 in Zürich
Grossfürstlicher Hofgärtner und Verwalter der Insel Kamenno-Ostrowskj in St. Petersburg
von Eugen Hinder (2012)
Die Angaben stammen hauptsächlich von Ruth Uhlmann-Gasser, zum einen aus ihrem Brief von 1979 an das Russland-Schweizer-Archiv der Universität Zürich, zum anderen aus der beigelegten Trauerrede, die Karl Hinders Schwager, O. Uhlmann-Attenhofer, am 7. Dezember 1932 in Zürich gehalten hat. Ergänzende Angaben machte Frau Ott-Skoropadsky, die Karl Hinders Ehefrau persönlich gekannt hatte.
Gemäss Haushaltungsregister der Pfarrei Wil wurde Karl Hinder am 21.01.1861 im Wilen geboren, gemäss der Trauerrede von O. Uhlmann-Attenhofer am 31.01.1861. Karls Vater war Pankraz Silvester und seine Mutter Sophia Böbt, sie stammte aus Säckingen. Mit acht Jahren habe er beide Eltern verloren. 1879, im Alter von 18 Jahren, wanderte er nach Russland aus, zu seinem um sechs Jahre älteren Bruder, Wassili Pankratjewitsch W. P. Hinder (vgl. sein Portrait). Karl sei Gärtner gewesen und habe sich „durch Energie, Fleiss und Tüchtigkeit allmählich zu einer angesehenen Stellung empor gearbeitet“: Er wurde der grossfürstliche Hofgärtner und Verwalter der Insel Kamenno-Ostrowskj, die der Prinzessin Helene gehörte *. Karl sei sowohl bei der Prinzessin als auch bei seinen Untergebenen geehrt und beliebt gewesen. Er war offensichtlich erfolgreich in der Zucht von Blumen, wie ein im Internet gefundener Beitrag in der Zeitschrift Gartenflora belegt. Im Rahmen einer Sitzung der Kaiserlichen-Russischen Gartenbau-Gesellschaft heisst es: „In dem Korridor vor dem Sitzungssaal, welcher für diesen hohen gärtnerischen Verein in einem der bedeutendsten Gebäude St. Petersburgs, in der „Admiralität“, reserviert ist, waren von mehreren hiesigen und einigen auswärtigen Mitgliedern auf Tischen verschiedene blumistische Artikel zur Schau gestellt. Da fielen zuerst Nelken in die Augen. … Die Neuheit „Mad. De Waroqué“ war in einem kleinen Satz blühender Pflanzen vom grossfürstl. Hofgärtner Hinder ausgestellt; diese rote Neuheit gefiel auch allgemein, trotzdem sich mehrere Blumen nicht willig öffneten, sondern platzten, was aber eine unvermeidliche Eigenschaft dieser Klasse ist. …“ (Gebhardt, 1896, 30f).
Am 3.12.1892 heiratete Karl Hinder in St. Petersburg Marie Attenhofer, welche am 9.2.1862 in Zürich als Tochter des Komponisten und Zürcher Musikdirektors Carl Attenhofer geboren wurde. Sie sei 1892 zusammen mit ihrer Schwester „auf gut Glück“ nach Russland ausgewandert, um sich dort als „Erzieherinnen zu betätigen“. Die Ehe sei kinderlos geblieben. Die Hinders hätten ein fast freundschaftliches Verhältnis zur Familie der Prinzessin Helene gehabt. Diese hätte ihr kostbaren Schmuck geschenkt, der nach der russischen Revolution – in Kleidersäume eingenäht – die Flucht in die Schweiz überstanden hätte. Marie Hinders Schwester, welche 1900 und 1912 stellvertretend für die erkrankte Frau Hinder dem Haushalt und den Dienstboten der Hinders vorstand, habe oft von der Pracht und dem Luxus des Hinderschen Haushaltes erzählt. An Schönem und Erfreulichem habe es im Leben der Hinders wahrlich nicht gefehlt: Ihr Leben sei jahrzehntelang ein sehr glückliches und erfolgreiches gewesen, Russland sei ihnen ganz zur Heimat geworden. Umso bitterer war für sie dann der verhängnisvolle Umschwung, als im Gefolge des grossen Krieges 1917 die bösen Ereignisse in Russland ihren Anfang nahmen und sie nach der ausgebrochenen russischen Revolution ihr prächtiges Heim, die grosse Stadt und das Land verlassen mussten. Wegen der Ausplünderung der schweizerischen Gesandtschaft sei ihnen fast ihr ganzes Vermögen geraubt worden. 1918 kehrten sie völlig mittellos in die Schweiz zurück, wo sie abwechselnd von den Schwestern von Frau Hinder aufgenommen wurden. Im Gegensatz zu andern Schweizern, die die Gefahr frühzeitig erkannt und ihr Geld in die Schweiz gebracht hatten, waren die Hinders noch nach ihrer Flucht der naiven Meinung, die Herrschaft der Bolschewisten könne unmöglich lange dauern und sie könnten bald wieder zurückkehren. Aber, ihr ganzes beträchtliches Vermögen war für immer verloren. In der Schweiz hätten sie vorerst in bescheidenen, aber ausreichenden Verhältnissen gelebt. Karl Hinder habe von der Eidgenossenschaft Arbeit erhalten. Aber seine Frau, die sich nicht in die bescheidenen Verhältnisse habe einfinden können, habe sein Fortkommen und die Beziehungen zu seinen Arbeitgebern sehr erschwert. Karl Hinder erkrankte dann, seine drei letzten Leidensjahre seien besonders schwer gewesen, da er immer mehr von seiner Krankheit heimgesucht worden sei. Todkrank habe er am 3.12.1932 heftig verlangt, dass er in sein Heim transportiert werde, wo er am folgenden Tag starb. Seine letzten 14 Jahre hätten aus Umherziehen und Suchen von einem Ort zum andern bestanden. Karl sei redlich bemüht gewesen, sich in der Schweiz eine neue Stellung zu verschaffen, der Erfolg sei ihm versagt geblieben. Von dieser Sorgenzeit solle in der Trauerrede nicht weiter geredet werden, sie sei ja allen bekannt und, nicht zu vergessen sei, dass eben auch in unserem Land seit dem Krieg keine Glückszeit geherrscht habe!
Frau Hinder sei dann in ihrem Hass gegen die Russen, die ihr Leben zerstört hatten, einer wahnhaften Schwärmerei für Hitler verfallen, in dem sie eine Art Befreier sah. Anfangs des 2. Weltkrieges habe sie nicht nur im Bekanntenkreis, sondern auch öffentlich, im Tram usw., für Hitler geworben, sodass ihr nicht nur die ganze Verwandtschaft die Unterstützung entzog, sondern auch der Bund eingegriffen habe und ihr ebenfalls keine Mittel mehr zukommen liess. Als “gefährliche Agitatorin“ sei sie ca. 1941 ins Altersheim in Sirnach TG verfrachtet worden, wo sie bis 1957 in bitterster Armut gelebt habe. 1946 habe Frau Ott-Skoropadsky „Tante Marie“, wie sie sie immer genannt hätten, zusammen mit ihren Schwiegereltern, Carl und Annie Hinder-Piedboef, in Sirnach besucht. Sie habe sie als „sehr imposante schrullige alte Dame“ kennen gelernt, sie hätten lange warten müssen, bis sie angezogen war und sie als Besuch empfangen habe. Sie sei dann mit all ihrem Schmuck erschienen, wobei es sich nur um billigen Schmuck gehandelt habe; sie sei ein Nazi gewesen. Am 22.12.1958 starb Marie Hinder-Attenhofer im Asyl Littenheid bei Wil (psychiatrische Klinik).
* Grossfürsten bzw. –fürstinnen durften sich alle Brüder, Schwestern, Onkel, etc. des Zaren, sowie deren Nachkommen nennen, also alle Romanows.
Literatur
Gebhardt, Matthias (1896): „Eine Monats-Ausstellung in Petersburg im russischen Gartenbauverein“, Gartenflora, 45, Zeitschrift für Garten- und Pflanzenkunde, Hrsg. Dr. L. Wittmack, Berlin.